AVENTURE

 

Zeitgenössische Chormusik – Abenteuer und Aufgabe

Frankfurter Kantorei auf neuen Wegen mit Aventure-Konzerten
Cordula Scobel

Im Mai 2006 fand in der Frankfurter Heiliggeistkirche das erste Aventure-Konzert der Frankfurter Kantorei (FK) in Zusammenarbeit mit dem Institut für zeitgenössische Musik der Frankfurter Musikhochschule (IzM) vor einem relativ kleinen Kreis von interessierten Zuhörern statt. Doch bereits beim zweiten Konzert dieser neuen Konzertreihe, im März 2007, hatten sich mehr neugierige Frankfurter auf den Weg ins Dominikanerkloster gemacht, um sich mit der FK, ihrem künstlerischen Leiter Prof. Winfried Toll und jungen Musikern der Musikhochschule auf eine musikalische Reise im Spannungsfeld zwischen alter und neuer Musik zu begeben – zwischen Schütz, Messiaen, Tippett und Huber.

„Aventure” – das bedeutet Abenteuer und Erlebnis. Für Winfried Toll aber, der 2005 die Idee zu dieser außergewöhnlichen Konzertreihe hatte, meint „aventure” in diesem Zusammenhang auch Wanderschaft und Aufgabe: sich auf die Reise begeben, um neuer Musik einen Raum zu geben, um neues Publikum anzusprechen und um Nischen im Musikleben zu entdecken und zu füllen. Die Idee zu den Aventure-Konzerten entstand unter anderem aus der Unzufriedenheit über das schlechte Image der zeitgenössischen Musik im heutigen Musikbetrieb und über den geringen Stellenwert, den neue Chormusik speziell in der Frankfurter Musikszene hat. Winfried Toll ist selbst Komponist und weiß, wie schwer es ist, neue Kompositionen ins Konzertleben einzubringen. Nur mit einem relativ kleinen Repertoire historischer Werke öffnen sich die Türen der großen Konzertsäle für freie Ensembles. Für Werke abseits dieses Mainstreams, für neue Kompositionen oder gar für Experimente bleiben sie verschlossen oder sind, gerade für Laienchöre, nicht bezahlbar.

Winfried Toll will mit den Aventure-Konzerten der kommerziellen Ausrichtung des Konzertbetriebes etwas entgegensetzen, denn ihm scheint es wichtig, daß gerade in einer Stadt wie Frankfurt, die mit Messe, Börse und Bankenzentrum direkt am Puls der Zeit ist, auch neue Chormusik einen festen Platz hat. Schnell konnte er Vorstand und Chor für die Idee begeistern. Auch das Problem des geeigneten Konzertraumes war bald gelöst, da die FK regelmäßig in der Heiliggeistkirche konzertiert und als Veranstalter der Konzerte das finanzielle Risiko selbst trägt. Winfried Toll wollte sowohl Vokal- als auch Instrumentalmusik zur Aufführung bringen und fand im IzM der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt den idealen Partner für sein Vorhaben. Toll selbst ist seit 1997 Professor für Chorleitung in Frankfurt und so war der Kontakt zum IzM und dessen Leiter Prof. Gerhard Müller-Hornbach leicht hergestellt. Müller-Hornbach war begeistert von der Idee, in die Konzerte Studenten, vor allem des von ihm betreuten Masterstudiengangs für Zeitgenössische Musik, einzubinden. Die jungen Musiker bekommen dadurch Auftrittsmöglichkeiten, die sie sonst eher selten haben.

Auch Gerhard Müller-Hornbach kennt als Komponist die Schwächen des klassischen Kulturbetriebes in Bezug auf zeitgenössische Musik. Für Kompositionen der Gegenwart gibt es zwar viele Spezialplattformen mit einem speziellen Publikum, aber diese sind sehr isoliert vom sonstigen Musikbetrieb. Die Aventure-Konzerte jedoch sind nicht für ein Spezialpublikum gedacht, sondern erreichen klassisches Konzertpublikum. Und so bekommt auch zeitgenössische Musik einen Platz im bürgerlichen Konzertleben.

Winfried Toll und Gerhard Müller-Hornbach arbeiteten gemeinsam das endgültige Konzept aus: Jedes Konzert steht unter einem bestimmten Motto. Den zeitgenössischen Kompositionen werden Werke alter Meister kontrastierend gegenübergestellt. Um dem Publikum den Zugang gerade zu den zeitgenössischen Klängen zu erleichtern, bietet sich die Form des Gesprächskonzertes an. Winfried Toll erläutert im Konzert die Werke und ihre thematische Beziehung zueinander. Er möchte auf diese Weise „das Ohr für andere Schichten der Musik sensibilisieren und bewußtes Hören ermöglichen und begleiten”. Auch Müller-Hornbach hält die Form des Gesprächskonzertes für sinnvoll, „denn dabei wird der Fokus auf das gelenkt, was künstlerisch und inhaltlich passiert”. Die Erläuterungen wecken die Neugier des Publikums und schaffen eine Verbindung zwischen Musikern und Zuhörern, die im klassischen Hörkonzert sonst nicht entsteht.

Winfried Toll hat mit der FK, deren künstlerischer Leiter er seit 1997 ist, ein Ensemble zur Verfügung, das stimmlich sehr qualifiziert ist, dazu neugierig und flexibel, und bei dem es keine Berührungsängste mit zeitgenössischen Werken und musikalischen Experimenten gibt. Die Zusammenarbeit mit dem IzM ist für beide Institutionen sehr bereichernd. Für das 2005 gegründete Institut, daß mit Workshops und Konzerten vorrangig hochschulintern wirkt, sind die Konzerte eine gute Möglichkeit, sich und die Hochschule nach außen zu präsentieren und in das Kulturleben der Stadt auszustrahlen. Für die FK bietet die Zusammenarbeit neben der Möglichkeit, mit Spezialisten für zeitgenössische Musik zu musizieren, auch eine finanziell günstige Konzertmöglichkeit, denn die Musikstudenten bekommen lediglich ein Anerkennungshonorar. Anders wären solche „Nischenprogramm-Konzerte” nicht finanzierbar.

Die Aventure-Konzerte sind vielversprechend angelaufen – die deutlich höhere Besucherzahl des zweiten Konzertes belegt das öffentliche Interesse – , doch leider hat die Frankfurter Presse trotz der üblichen Werbemaßnahmen bisher keine Notiz von den Konzerten genommen. Dieser traurige Umstand ist umso unverständlicher, da von Seiten der Presse die angeblich zu eintönigen Chorprogramme als Grund für ihr Desinteresse an der Chorszene genannt werden. Bringt man dann neue Musik abseits des Mainstream, verpaßt die Presse ihren Einsatz. Winfried Toll und Gerhard Müller-Hornbach lassen sich dadurch jedoch nicht entmutigen. Sie planen bereits die nächsten Konzerte. Ideen für Themen und Werke haben sie genug.

Die Titel der ersten beiden Konzerte waren „Stille in der Musik” und „Gefangenschaft”. Am 18.11.2007 wird nun das dritte Aventure-Konzert stattfinden (17 Uhr, Dreikönigskirche, Frankfurt/M.). Es unterscheidet sich von den bisherigen und den kommenden Konzerten dadurch, daß es kein formuliertes Motto hat und zwei längere, statt mehrere kürzere, Werke zur Aufführung kommen: M. Duruflés Requiem op.9 und das im Jahr 2000 entstandene Oratorium „Am Rande der Zeit” von Gerhard Müller-Hornbach. Dem Werk für Bariton, Kammerorchester, Chor und 8 Gläser, das von Vergänglichkeit und dem bewussten Erleben der Gegenwart handelt, liegen unter anderem Texte der Philosophin J. Hersch und des indischen Sufi-Meisters H. Inayat Khan zu Grunde. Die Proben zu diesem Konzert laufen – die FK hat sich also schon auf die Reise begeben. Diesmal besteht das Abenteuer darin, die großen Klangflächen sowie die Gläser in Müller-Hornbachs Komposition zum Klingen zu bringen und die impressionistische Klangwelt Duruflés mit Leben zu füllen. Und der Chor hofft, dass ihn auch bei diesem Konzert wieder viele Zuhörer auf der Reise begleiten werden.

Das vierte Aventure-Konzert am 22.02.2008 wird dann wieder die gewohnte Form mit unterschiedlichen kürzeren Werken haben. Unter dem Titel „Himmelsmusik” erklingen Kompositionen von Monteverdi, Schumann, Tallis, Nono, Scelsi und Schöllhorn.

Informationen: www.frankfurterkantorei.de | www.hfmdk-frankfurt.de

Zur Autorin: Cordula Scobel (*1978) studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Anglistik in Dresden und Gießen. Seit 2004 studiert sie Kirchenmusik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. Sie arbeitet als Kirchenmusikerin und Musikjournalistin. Sie ist Mitglied der Frankfurt Kantorei.

Quelle: Zeitschrift „CHOR und KONZERT“, Heft 3/2007, S. 19ff.
Mit freundlicher Genehmigung des Verbandes Deutscher KonzertChöre